Anforderungen im B2B E-Commerce
Je nachdem, wen man fragt, verhält es sich mit den Anforderungen im B2B E-Commerce anders. Der klassische Shop-Implementierungspartner meint, dass die Standard-Shopfunktionen doch auch für den B2B-Kunden vollkommen ausreichen. Die B2B-Kundenerwartung wird doch eh von der privaten Shoppingerfahrung geprägt und im Zweifel muss man eben die internen Prozesse anpassen. Der Anbieter spezialisierter B2B-Software hält davon gar nichts und verweist auf die individuellen Preise, Skontobedingungen, die Vielzahl an Lieferadressen und Dokumentationspflichten. Die disruptive Digital-Boutique aus Berlin, in der keiner mehr die Abkürzung MP3 versteht, hat vermutlich keine Meinung, baut Dir aber alles, was rockt und hat eine tolle Online-Marketing-Strategie. Woran soll man sich als Kunde halten?
Anforderungen im B2B richtig bewerten
Wie so oft ist keine extreme Meinung richtig und zielführend. Natürlich gelten im B2B andere Regeln als im B2C. Alleine schon deshalb, weil der Einkäufer eine geschäftliche „Rolle“ oder Aufgabe zu erfüllen hat und keine private. Umgekehrt ist es natürlich so, dass wir bewusst oder unbewusst auch private Erfahrungen mit in den Arbeitsalltag nehmen. Es wird jedoch kein zahntechnisches Labor via Paypal und einem One-Click-Checkout einfach mal so 4000 kg Gips zum Listenpreis für kieferorthopädische Modelle bestellen … Nur weil es so komfortabel für den Besteller ist. Für das Unternehmen ist das allerdings mehr als zweitrangig. Schnelligkeit, Sicherheit, Planbarkeit und Wirtschaftlichkeit sind hier entscheidend.
Worum geht es überhaupt? Typische B2B-Anforderungen im Onlinehandel
Von welchen besonderen Anforderungen sprechen wir? Viele Großhändler und Hersteller, die einen Onlineshop für den digitalen Vertrieb Ihrer Leistungen bereits aufgebaut haben, dürften die Problematik bei den nachfolgenden Punkten vertraut sein.
Preise im B2B E-Commerce
Weiß jeder Geschäftskunde: Listenpreise sind meist nur ein Hilfsmittel beim Abschluss. Der Kunde hat ein gutes Gefühl, wenn er die, vom Anbieter einkalkulierten, 30 Prozent rausgehandelt hat. Das Problem ist, dass die Produkte, die auch im Shop verkauft werden, in der Warenwirtschaft aber mit dem Listenpreis als führendem Preis hinterlegt sind. Natürlich sind auch Warengruppenrabatte, Preisstaffeln und individuelle Konditionen irgendwo hinterlegt. Aber nicht zwingend am Produktdatenstamm. Ein B2C Shop arbeitet aber eben im Standard nur mit dem Listenpreis und vielleicht noch mit simplen Staffeln. Wenn Ihre Bestandskunden aber auch im Shop bestellen sollen, wollen die natürlich „ihre“ Preise.
Eigentlich erwarten die Kunden sogar, dass Sie ihnen günstigere Preise machen, weil Sie im Shop ja weniger Personalkosten haben.
Jetzt haben Sie aber zumindest die erste grobe Anforderung: Bestandskunden sollen Produkte im Shop zum individuell vereinbarten Preis angeboten werden. Gerade für einfache on-demand Shopsoftware war das lange Zeit absolut unmöglich. On-premise Systeme, die lokal gehostet wurden wie Magento, Oxid oder Shopware mussten entsprechend angepasst werden.
Lieferadressen
Auch ein nettes Thema. Ein Kunde bestellt mit zentraler Rechnungsadresse – die lässt sich problemlos in den Kundendaten innerhalb des Shops pflegen – allerdings für 10 bundesweit verteilte Niederlassungen. Die Struktur der Shop-Kundendaten lässt aber nur eine Lieferadresse zu. Im besten Falle kann man noch eine abweichende Lieferadresse eingeben. Der Kunde war gewohnt, dem Vertriebsmitarbeiter am Telefon mitzuteilen, das folgende Produkte nach Filderstadt, jene nach Bochum und die letzten nach Landshut gehen sollen. Ohne Anpassung (Customizing) müssten Sie Ihren Kunden im Shop nun dazu bringen, drei Bestellungen aufzugeben und dabei zweimal eine abweichende Lieferadresse einzugeben.
Das widerspricht vollkommen dem Kundenwunsch nach „praktisch und schnell“.
Wenn das beschriebene Bestellmuster nur in 4 Prozent aller Bestellungen eine Rolle spielt, kann man vielleicht damit Leben, diese Kunden weiter am Telefon zu betreuen. Kommt es häufiger vor, müsste das Shopsystem so angepasst werden, dass der Kunde seine Bestellung auf unterschiedliche Adressen splitten kann. Oder sich zumindest alle potenziellen Lieferadressen am Kundenaccount hinterlegen lassen.
Versand & Logistik im B2B
Natürlich müssen die Produkte auch an unterschiedliche Lieferadressen versendet werden, sprich der Gesamtauftrag wird in Unteraufträge aufgeteilt. Damit einher gehen aber auch unterschiedliche Ansprechpartner, Lieferwünsche und -zeiten, Filialnummern, Öffnungszeiten usw. Versandkosten müssen korrekt berechnet werden, Zollgebühren eventuell ausgewiesen sein und dann muss natürlich bei der Kommissionierung auch alles korrekt zugeordnet werden.
Und kaum ist alles fertig, flattert eine Korrektur des Kunden ein, dass der Auftrag für Niederlassung XY noch um Akkus ergänzt werden soll. Da es sich dabei um Gefahrgut handelt, muss es nun auf Palette mit einer Spedition verschickt werden. Mit dem Versand von 2 Paar Schuhen an eine Packstation hat das aber auch gar nichts gemein. Die Aufgabe des Shopsystems ist es hier, dem Einkäufer eine transparente Übersicht zum Bestellstatus zu geben, damit er Planungssicherheit hat.
Kundenservices
Die vorangegangenen Punkte haben sich bereits mit Serviceleistungen beschäftigt die im Mittelstand üblich sind, sich aber nicht adhoc mit einer Standard-Systemlösung digitalisieren lassen.
Bei einem digitalen Vertrieb geht es aber auch darum, Kunden über mehrere Kanäle hinweg betreuen zu können (multichanneling).
Konkret heißt das etwa, dass Kunden an jedem „Touchpoint“ mit Ihrem Unternehmen die für sie relevanten Informationen erhalten. Kundendokumente wie Angebote, Bestellungen und Rechnungen sollten daher nicht nur über ein ERP – oder einem anderen System mit Dokumentenmanagement-Funktion – aufrufbar sein. Für ein reibungsloses, schnelles und praktisches Kundenmanagement müssen sie auch auf dem mobilen Device des Außendienstes oder eben dem Kundenkonto im Online-Shop zur Verfügung stehen. Es braucht also eine Integration des Shop-Systems und des Dokumentenmanagements.
Aber auch Schnellbestellfunktionen gehören dazu. Zum Beispiel das erneute Auslösen von bereits getätigten Bestellungen oder über das Hochladen von Bestelllisten direkt in den Warenkorb des Onlineshops. Dazu muss in der Regel das Shopsystem durch Plugins erweitert werden.
Produktinformationen
Eine weitere Herausforderung, die eine starke Auswirkung auf Kundenbindung und Konversion hat, ist die Präsentation der Produktinformationen. Die muss für den Käufer sehr übersichtlich aber meist auch sehr detailliert sein. Denn häufig gilt es, ihn nicht vom Nutzen eines Produktes zu überzeugen, sondern ihm die Gewissheit zu geben, dass es das richtige/passende Produkt für seinen Anwendungsfall ist. Möglicherweise lässt sich die dazu nötige Menge an Informationen in einem Standard-B2C-Shop gar nicht – oder nicht an der richtigen Stelle – abbilden, da die vorhandenen Contentbereiche limitiert sind. Dann heißt es erneut, das Shopsystem anpassen oder erweitern. Was die Vollständigkeit, Qualität und korrekte Zuordnung von Produktinformationen angeht, hier kann ein PIM-System wertvolle Hilfe leisten.
IT-Systemlandschaft im B2B
Zusätzlich zu den Anforderungen im B2B E-Commerce an die jeweilige Onlineshop-Software, kommen noch weitere hinsichtlich der Integration des E-Commerce in die eigene (oder auch fremde) IT-Landschaft hinzu. Das kann die recht simple Bereitstellung von Produktdatenfeeds an Marktplätze oder für E-Procurement-Systeme sein. Aber auch – mit steigendem Komplexitätsgrad – die Einbindung von Payment-Service-Providern, Logistik-Dienstleistern, Business Intelligence Lösungen oder eben die Verknüpfung von Kundendaten aus unterschiedlichen Systemen (ERP, CRM, Newsletter-Tool, DMS) für eine eigene, serviceorientierte Kundensicht im E-Commerce-System. Achten Sie bei der Auswahl Ihres E-Commerce Dienstleisters darauf, dass er Erfahrung mit weitreichenden Integrationsprojekten hat und gut mit Ihrer IT zusammenarbeiten kann.
Organisation und Prozesse
Hier geht es auch um prozessuale und organisatorische Fragen. Nehmen Sie noch einmal obiges Beispiel mit den diversen Adressdaten. Möchten Sie diese zusätzlichen Adressdaten aus dem Shop wieder ins ERP oder Ihr CRM einspeisen und wenn ja wie? Sollen die Stammdaten erweitert werden oder soll es nur ein zusätzlicher Eintrag in einem Infofeld sein? Das hängt von den jeweiligen Geschäftsprozessen ab – und meist auch den persönlichen Befindlichkeiten der IT. Für die Darstellung im Kundenkonto wäre zusätzlich ein Rechte- und Rollenmanagement sinnvoll, damit nicht jeder Niederlassungsleiter der unter dem Kundenkonto geführt wird, auch alle Bestellungen der übrigen Niederlassungen des Unternehmens einsehen kann. Erfolgsfaktoren stecken hier wirklich in Details
B2B Online-Marketing
Eine besondere Herausforderung im B2B stellt die Vermarktung des Angebots über digitale Kanäle dar. Natürlich gehören Google Ads, Display und Retargeting-Kampagnen dazu. Allerdings müssen Sie auf Besonderheiten der Zielgruppe achten. Nur ein Beispiel: Session Cookies von Google Analytics verfallen standardmäßig nach 30 Minuten Inaktivität des Nutzers. Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass sich viele B2B-Onlineshopbesuche und Bestellungen aber über einen ganzen Tag hinziehen. Der Einkäufer wird durch andere Aufgaben oder Recherchen immer wieder für eine längere Zeit unterbrochen. Solche Dinge gilt es zu wissen, um etwa ein vernünftiges Tracking aufzusetzen. Auch hier kann es sinnvoll sein, mit Dienstleistern zusammenzuarbeiten, da die Komplexität bei Anzahl von Kanälen, Inhalten und Steuerung sowie das benötigte Know-how immer mehr zunimmt. Erfolgreiche Kundenanalyse und Kundenansprache ist eigentlich Sache für Profis.
B2B-Anforderungen in B2C-Systeme übertragen?
Ja, das geht. Es gibt eine Vielzahl von Shopsoftware-Systeme, die sich auch für die spezialisierten und teilweise hochindividuellen Anforderungen im digitalen Vertrieb von B2B-Unternehmen hervorragend eignen. Mit Magento oder Shopware können Sie auch einen B2B Online-Handel aufbauen. Aber bitte nutzen Sie dabei die Erfahrung von externen Experten. Und suchen Sie nach einem Entwicklungspartner, der etwas von den Anforderungen im B2B E-Commerce und deren Umsetzung versteht.