Den ersten Beitrag zum Thema Künstliche Intelligenz im E-Commerce habe ich vor ungefähr 4 Jahren geschrieben. Damals steckten viele Anwendungen noch in den Kinderschuhen, Potenziale und Grenzen waren aber schon deutlich erkennbar. Was daran liegt, dass die zugrundeliegenden Algorithmen eigentlich schon ein alter Hut sind. Heute kann man jedoch kein Online-Marketing oder E-Commerce-Medium mehr „aufschlagen“ ohne nicht in mindestens einer Headline das Kürzel KI zu lesen. Schauen wir also mal, wie der aktuelle Stand ist, und ob der Hype rund um KI im E-Commerce hält, was das Marketing verspricht.
Und noch eines vorweg, in diesem Beitrag werden Sie weder lesen, das KI das neue Wundermittel im E-Commerce ist, dass all Ihre Probleme löst, noch als Angehöriger der KI-Verteufler auf Ihre Kosten kommen. Wie immer geht es um eine sachliche Beschreibung, was bei diesem komplexen Thema zugegebenermaßen eine Herausforderung ist. Ich kann daher auch nicht auf alle Aspekte eingehen und beschreibe in diesem Post auch nur einen Anwendungsfall … Wir freuen uns aber über jede Anregung oder Frage, um das Thema weiterzuentwickeln.
Was ist überhaupt Künstliche Intelligenz? Eine feste Definition gibt es nicht, da auch keine Klarheit darüber besteht, was Intelligenz eigentlich ist. Für das Verständnis des Beitrags ist aber wichtig zu wissen, dass man zwischen starker und schwacher künstlicher Intelligenz unterscheidet. Eine starke künstliche Intelligenz ist im Prinzip ein System, dass Menschen – unabhängig von der Problemstellung und dem Anwendungsbereich – intellektuell unterstützen kann. Solche Systeme sind bis auf weiteres noch SciFi. Bei den aktuellen Systemen handelt es sich um Formen schwacher künstlicher Intelligenz, die sich nur für ganz bestimmte Anwendungsfälle eignen.
Grob lassen sich die Anwendungen in drei Bereiche unterteilen, wobei es natürlich mit fortschreitender Entwicklung zu einer Verschränkung der Bereiche kommt.
Eine Kombination mehrer Bereiche findet sich etwa bei Programmen wie Watson von IBM. Im Grunde ein Expertensystem, versteht Watson aber auch natürliche menschliche Sprache – wenn auch noch nicht in gesprochener Form – und kann Vorhersagen treffen. Beispiele sind der Verschleiß von Bauteilen oder die wahrscheinliche Wirksamkeit neuer Medikamente.
In der Praxis steckt hinter den meisten Anwendungsfällen Künstlicher Intelligenz im E-Commerce eine Methode des maschinellen Lernens (machine learning). Darauf basierende Systeme lernen aus einem Set an Trainingsdaten, bestimmte Muster und Gesetzmäßigkeiten abzuleiten. Man lässt aber nicht einfach so einen Algorithmus auf die Daten los, sondern definiert Rahmenparameter (etwa wie oft der Datensatz durchsucht werden darf) und gibt Ziele vor, an denen sich der Algorithmus abarbeiten muss.
Ein wirklich grob vereinfachtes Beispiel: Stellen Sie sich einen Satz Memory-Karten vor, mit denen Sie als Kind vielleicht gespielt haben. Der Algorithmus soll dann versuchen das Gegenstück zu einem Kartenmotiv im Stapel in einer bestimmten Zeit zu finden. Dabei erlernt er im Idealfall die relevanten Unterscheidungsmerkmale zu erkennen und eine effiziente Vorgehensweise um die Aufgabe schnell zu lösen. Hat er die Aufgabe gelöst, wird er auf das nächste Motiv angesetzt … und so weiter.
Eine Sonderform stellen Deep Learning Algorithmen dar, die auf sogenannten künstlichen neuronalen Netzen basieren – und eigenständiger nach Mustern suchen können. Allerdings muss auch hier viel Aufwand in die sinnvolle, dem späteren Anwendungsfall angemessene „Konzeption“ des neuronalen Netzes gelegt werden. Aufgrund der komplexen Struktur künstlicher neuronaler Netze steht die Forschung hier häufig vor dem Problem, den Lösungsweg nachzuvollziehen und damit bewerten zu können.
Wie lassen sich diese Ansätze nun im E-Commerce sinnvoll einsetzen? Einen Einblick bietet die folgende Umfrage zum Einsatz von KI im Marketing. Leider gibt es nicht vergleichbares zum Thema E-Commerce, aber gehen wir einfach von einer großen Überschneidung der Interessen aus.
Personalisierung, Segmentierung (Targeting), User Experience und Content Erstellung/Distribution sind natürlich für den E-Commerce ebenso relevant. Was in der Übersicht noch fehlt, sind vor allem E-Commerce KI-Lösungen zur Analyse und Vorhersage allgemeiner Shoppingtrends, spezifischen Nutzerverhaltens (Propensity-Analyse und Prediciton) sowie der Entwicklung des Produktportfolios. Eben alles, was der Zusammenstellung des optimalen Angebots dient.
Da der Beitrag ansonsten aber zu umfangreich wird, beschränke ich mich heute auf digitale Assistenten, worunter dann auch Chatbots zu verstehen sind. Alles andere betrachten wir nächste Woche.
Chatbots & Co. – egal ob als rein textbasiertes Dialogsysteme oder mit Spracherkennung – sind eigentlich erweiterte Self-Service Angebote. Die Idee ist, das Kunden ihre Fragen zu einer Leistung einfach direkt auf der Website stellen und automatisiert eine Antwort erhalten, ohne dass sie sich durch Hotline-Strecken quälen müssen.
Zusammengefasst bieten Chatbots folgende Vorteile:
In der Theorie schlüsseln die Assistenzsysteme die Kundenanfrage auf, geben hilfreiche, weil relevante Antworten oder vermitteln direkt an passende Ansprechpartner. Im Prinzip nichts anderes als eine intelligente Suche oder ein automatisierter Helpdesk. Lange Zeit funktionierten solche Systeme rein regelbasiert. D. h., die in der sprachlichen Anfrage (Text oder verbal) enthaltenen Schlüsselbegriffe werden gegen Einträge in einer Datenbank abgeglichen, in denen dieser Begriff enthalten ist oder die für diesen Schlüsselbegriff getaggt wurden. Im E-Commerce sind das Verweise auf Produkt-, Kategorie- oder etwa Hilfeseiten. Welche Antwort der Bot dann ausspielt, hängt von einfachen Regeln ab. Verweise etwa bei Anfragen mit Produktbezeichnungen zuerst auf die passende Kategorie.
Das Problem dabei ist die menschliche Sprache. Wir drücken uns unklar aus, nutzen Synonyme oder verwenden schlicht die falschen Begrifflichkeiten. Nehmen Sie an, Sie würden in einer Geschäftsanwendung beispielsweise nach einer Funktion suchen, um die Darstellung bestimmter Daten im Dashboard zu regeln – abhängig von Nutzerrollen. Aber leider fallen Ihnen die Begriffe Dashboard oder Nutzerrollen nicht ein. Ein Support-Mitarbeiter versteht ein „Ich will nicht das jeder Mitarbeiter alles sieht“ vermutlich noch – das traditionelle Assistenzsystem hingegen nur dann, wenn sich ein Produktentwickler die Mühe gemacht, genau dieser Phrase auch Inhalte zu Nutzerrollen zu hinterlegen – was dann doch eher unwahrscheinlich ist. Eine semantische oder gar kontextuelle Analyse im Sinne von echtem Sprachverstehen beherrscht so ein Bot nicht.
KI-Sprachassistenten – auf der Basis von Deep Learning Algorithmen aus dem Forschungsbereich des Natural Language Processing – sollen den Umgang mit Kundenfragen hier revolutionieren. In der Theorie verstehen sie auch eher umgangssprachliche Anfrage und können daraus eine strukturierte maschinenlesbare Formulierung erzeugen, die sie zur Suche in der Datenbank nutzen. Auf welchem Algorithmus die Systeme auch im Einzelnen ganz genau basieren, gemeinsam ist ihnen, dass sie
bis einigermaßen brauchbare Ergebnisse herauskommen können. Durch die ständige Optimierung sollte der Chatbot aber irgendwann relevantere Antworten liefern können. Die KI wird zudem genutzt, um die vorhandenen Inhalte sinnvoll zu indexieren, auf die der Bot dann später verweisen soll.
Ja, ich klinge ein bißchen skeptisch, aber eben schlicht aus Erfahrung. Ich weiß noch aus dem Hauptstudium, wie komplex das Thema Sprachverstehen ist und kenne auch eine nette Person, die ich leider noch nicht zu einem eigenen Blogbeitrag überreden konnte, die solche Systeme trainiert. Der Trainingsaufwand ist enorm. Und schließlich muss man sich einfach nur die Ergebnisse ansehen. Das folgende Beispiel zeigt, dass man zumindest als traditionsbewusster, per Anhalter reisender Forstwirt nicht so recht verstanden wird. Ich will noch ausdrücklich erwähnen, dass der Entwickler dieses Chatbots ihn als Referenz für ein KI-basiertes System verwenden.
Zumindest die letzte Antwort war hilfreich, da die Kategorie „Pflegeprodukte“ nicht über die Hauptnavigation zu erreichen war. Die weitere Suche nach grünen Stiefeln und grünen Schaftstiefeln machte dann noch deutlich, dass nicht der Rechtschreibfehler der ersten Anfrage ein Problem darstellte, sondern es schlicht kein umfangreiches Lexikon mit Begriffen aus dem Umfeld „Schuhe“ gibt: Der Bot kennt Schaftstiefel nicht und versteht zudem „grüne Stiefel“ als eine eigene Kategorie und nicht als Zusammensetzung aus Produkt und einem Farbadjektiv. Dementsprechend werde ich einfach an alle anderen Kategorien verwiesen. Ist halt nicht gerade Rocket Science!
An diesem Beispiel wird klar, das Künstliche Intelligenz nicht gleichbedeutend mit intelligent sein muss. Unabhängig davon, wie leistungsfähig und damit kostspielig der Chatbot ist, was es immer braucht, ist gut gepflegter und indexierter Content, viel Zeit & Energie für die konzeptionelle Arbeit – jemand muss sich eben überlegen, was die Kunden erwarten-, sowie ein intensives Training, um das bestmögliche herauszuholen.
Ist das nicht gegeben, hat der Bot natürlich dennoch seinen Nutzen, federt er doch erst einmal Kundenanfragen ab. Allerdings besteht auch die Gefahr, dass die Erwartung des Kunden enttäuscht wird, und dieser so frustriert ist, dass er nicht einmal mehr anruft. Ja, ich weiß, viele finden neue Technik einfach geil, weil sie neu ist. Lassen Sie sich davon nicht beirren, sonder wägen Sie rational ab, was Ihre Kunden erwarten. Verkaufen Sie Low-budget an eine junge Zielgruppe, tut’s auch eine einfache Lösung. Wenn Sie einen Shop für Best Ager oder Maschinenbauer betreiben, muss ihr digitaler Assistent schon ausgefeilt sein, damit Sie keine Kunden verprellen oder sich nicht lächerlich machen.