Das Telefon klingelt, der Vertriebsmitarbeiter nimmt den Hörer ab und spricht mit seinem langjährigen Kunden. Nach etwas Small-Talk und einer kurzen Diskussion haben sich beide auf einen „guten Preis“ verständigt und sind zufrieden. Der Kunde konnte ein paar Prozent Nachlass heraushandeln, der Vertriebsmitarbeiter hat einen neuen Auftrag an Land gezogen und damit das Monatsziel erfüllt. Eine traumhafte Situation, oder?
Wenn Sie Ihren Vertrieb digitalisieren und einen Online-Shop bzw. eine E-Commerce Beschaffungsplattform etablieren, stehen Sie genau jetzt vor einer gewaltigen Herausforderung. Denn in irgendeiner Form müssen Sie auch diese Situation digitalisieren. Zum einen haben Ihre Kunden, das ist im B2B gängige Praxis, individuell verhandelte Preise und Rabatte, aber auch die erneute Verhandlung am Telefon oder mit dem Außendienst gehört zum Alltag in den Unternehmen.
Sie müssen sich daher nun die Frage stellen, welche technischen und prozessualen Möglichkeiten prinzipiell bestehen – und wie Sie den oben beschriebenen Prozess so gut – aber auch so schlank – wie möglich digital nachempfinden können. Vielleicht ist es auch Zeit, sich von analogen Verhaltensmustern zu lösen.
Um die Preisfindung zu digitalisieren, müssen Sie zuerst verstehen, wie sich Preise in Ihrem Unternehmen zusammensetzen. In der Praxis höre ich dann sehr oft und sehr schnell den Einwurf, dass doch alle Informationen in der Preisliste stehen. Bohrt man tiefer, zeigt sich aber meist ein sehr viel differenzierteres Bild. Multidimensionale Preislisten, individuelle Rabatte und aktuell laufende Aktionen – all diese Faktoren haben Einfluss auf die Preisfindung. Es wäre nicht überraschend, wenn sich auch bei Ihnen der Preis aus mehreren Faktoren zusammensetzt.
Umso wichtiger ist daher im ersten Schritt eine saubere Analyse des Preisfindungsmodells. Gängige Faktoren, um Ihnen an dieser Stelle einen Einblick in die Praxis zu geben, könnten unter anderem folgende sein:
Die saubere Definition der Preisfindung, die Teil des Anforderungsmanagements ist, ist unerlässlich. Denn nur wenn Sie wissen, nach welchen Regeln (Logik) ein Preis entsteht, können Sie den gesamten Preisfindungsprozess digitalisieren.
Kommen wir auf das Beispiel vom Anfang zurück. Sobald Sie eine saubere Definition der Preislogik erstellt haben und die Faktoren kennen, sind Sie in der Lage dem Kunden, auf digitale Art und Weise, den individuellen Preis zu nennen. Genau so, wie dies der Vertriebsmitarbeiter im Beispiel nach der Annahme des Telefonats getan hat.
Bei der Implementierung der Preisfindung stoßen Unternehmen jedoch häufig an Grenzen, das der falsche Ansatz verfolgt wird. Auch wenn Ihr Online-Shop die korrekten Preise darstellen muss, so ist eine Online-Shop Software out of the box in der Regel nicht in der Lage, die korrekte Preisberechnung durchzuführen. Der Grund ist einfach: Viele Online-Shop Lösungen wie Magento, Shopware oder OXID kommen historisch betrachtet aus dem klassischen B2C-Geschäft und haben dementsprechend vor allem Händler angesprochen. Das heißt, es fehlt schlicht die entsprechende Preisberechnungslogik.
Ein B2C-Händler hat jedoch, bezogen auf die Preisberechnung, wesentlich geringere Anforderungen als ein Unternehmen, welches Produkte und Leistungen an Geschäftskunden vertreibt. ERP-Systeme hingegen verfügen über die Möglichkeit, auch komplexeste Preisberechnungen abzubilden und individuelle Preise zu ermitteln. Aus diesem Grund sollte die Preisfindung im ERP-System realisiert werden. Der Online-Shop greift später ausschließlich per Schnittstelle auf das ERP-System zu und fragt den Preis an.
Hierbei ist aber Achtung geboten. Denn aufgrund intensiver und individueller Preisberechnungen kann schnell eine schlechte Performance in Ihrem Shop entstehen. Die Gefahr besteht, dass Ihr Online-Shop langsam, träge und damit für den Kunden aufgrund langer Ladezeiten schwer nutzbar wird. Daher müssen Sie frühzeitig über folgende Ansätze nachdenken:
Erfahrungsgemäß haben Kunden in B2B Online-Shops aber kaum Probleme damit, wenn die „finalen“ Preise z.B. erst im Warenkorb dargestellt werden. Auch wenn es den Service natürlich verbessert. In vielen B2B E-Commerce Lösungen werden beispielsweise auf der Kategorieansicht gar keine Preise dargestellt. Das hängt in der Regel mit den rechenintensiven Preisabfragen im Hintergrund zusammen. Auch sind Preise auf der Produktdetailseite oftmals nur annähernd richtig. Nur im Warenkorb, bzw. in der Bestellübersicht , d.h. unmittelbar vor dem Kaufabschluss, müssen Sie Ihren Kunden die 100% korrekten Preise darstellen.
Das Gute ist: Die Akzeptanz ist für eine nicht ganz perfekte Lösung ist im B2B wesentlich höher, als beispielsweise in B2C Shops.
Technisch betrachtet können Sie, mit Hilfe Ihres ERP-Systems, auch komplexe Preisfindungen abbilden. Letztendlich geht es darum, die Logik hinter der Preisermittlung zu kennen, diese im ERP-System abzubilden – was aber in der Regel schon der Fall ist – und die Preisdaten über smarte Schnittstellen an Ihren Webshop zu übermitteln.
Auf das initiale Beispiel zurückkommend, müssten Sie nun noch den letzten Schritt abbilden: Die persönliche Preisverhandlung. Aber ist das tatsächlich so? Viele Unternehmen sind der Meinung, auch die Verhandlung abbilden zu müssen. Sie können diese Komplexität jedoch auflösen, in dem Sie sich über folgende Maßnahmen Gedanken machen:
Sie können als Unternehmen den Prozess zur Preisfindung digitalisieren, auch wenn Sie hierbei etwas kreativ werden müssen. Zum einen sollten Sie die Chance nutzen und die grundsätzliche Preisfindung so einfach wie möglich gestalten. Anstelle vieler Faktoren macht es Sinn, sich auf 1-2 zu konzentrieren. Kundengruppenspezifische Preise sind oftmals komplett ausreichend und auf kundenindividelle Preise kann verzichtet werden. Vereinfachen Sie daher die grundlegende Preisfindungslogik!
Um Ihren Kunden zudem das Gefühl einer erfolgreichen Verhandlung zu geben, ergänzen Sie Ihren Online-Shop um zusätzliche Leistungen, die es eben nur bei Online-Bestellungen gibt. Sie können die Preise grundsätzlich um 5% senken, eine Ersparnis die Sie oftmals aufgrund der dadurch entstehenden Prozesskostenoptimierung erreichen. Auch können Sie auf Versand- bzw. Logistikzuschläge verzichten. Dadurch gewinnen Ihre Kunden immer, wenn sie auf telefonische Bestellungen verzichten und stattdessen Ihren Webshop nutzen.
Entwickeln Sie daher ein Konzept, das sowohl aus einer Reduzierung der Komplexität besteht, wie auch zusätzliche Anreize für Ihre Kunden schafft. Denn am Ende des Tages benötigen Sie kein hochkomplexes System, welches Ihre aktuelle Preisfindung 1:1 abbildet, sondern einen smarten und technologisch wenig aufregenden Ansatz, der für Ihre Kunden aber zufriedenstellend ist.