Klickparts launchten im Frühjahr 2019 ihre Onlinepräsenz, nachdem das Projekt erst im November gestartet wurde. Das zum Zeppelin Konzern gehörige Startup aus Hallbergmoos war mit seiner Plattform für Industriebeschaffung vom Start weg erfolgreich; es hätte aber auch anders kommen können.
Zunächst sind Betreiber von Werkstätten für Baumaschinen keine ganz einfache Zielgruppe. Anders als das gängige B2B-Klischee sind die Werkstattmitarbeiter digital sehr affin, und damit auch anspruchsvoll. Wer einmal eine gute User Experience gewohnt ist – auch im privaten Umfeld – erwartet dieselbe Qualität ganz selbstverständlich im B2B, wenn ihm oder ihr eine neue Plattform für Geschäftsprozesse präsentiert wird. In diesem Fall waren Anfang 2019 die User mit der Online-Ersatzteilbeschaffung aus anderen, weniger komplexen Produktsegmenten durchaus vertraut und entsprechend versiert. Sie wussten also sehr genau, wie sie sich eine gute Usability und eine intuitive Cross-Referenzierung (Welches Bauteil passt in welchen Bagger? Und nicht nur im Original, sondern auch im preiswerteren Nachbau?) von über 100.000 Teilen vorstellen mussten.
Neben dem Frontend bot auch das Backend mit SAP-Anbindung diverse Herausforderungen. Ist eine schnelle Markteinführung gewünscht, beschränkt man nach dem MVP-Prinzip (Minimum Viable Product) aufwendige Integrationen auf das Nötigste. Dadurch wird das Go-live nicht hinausgezögert, sondern das schnelle Sammeln von Markterfahrungen stellt sicher, dass die Ausbaustufen höherer Komplexität nicht an den Bedürfnissen der Kunden vorbeigehen.
Man versteht schnell, warum dies eine reale Gefahr in Projekten ist, führt man sich vor Augen, dass Lidl bei der SAP-Einführung binnen 7 Jahren 500 Millionen verbrannte – und das Projekt schließlich gänzlich aufgab. Im B2B ist die minimale Integration der Backendprozesse oft leichter gesagt als getan, weil der Sinn gerade darin besteht, Absatz- und Beschaffungsprozesse digital neu zu verknüpfen und effizienter als vorher zu gestalten. Und wenn – wie im vorliegenden Fall bei Klickparts – die Attribute aus dem SAP für die Darstellung im Frontend gebraucht werden, kann man nur sehr bedingt reduzieren.
Um die Geschichte abzukürzen: Es ging trotz aller Herausforderung gut aus! Der Launch im April 2019 zur bauma, der Weltleitmesse für Baumaschinen, glückte. Das Team war sogar schon weit vor Livegang so guten Mutes, dass es in eine intensive Medienkampagne mit dem Influencer JP Performance und seinem 2 Mio. Follower-starken Youtube-Channel investierte. Dazu darf man gratulieren. Aber man sollte sich vor allem auch fragen: Was lässt sich aus diesem Beispiel lernen?
Nicht nur im E-Commerce hängt Projekterfolg maßgeblich vom Faktor Mensch ab. Dazu gehören Hierarchien und Schnittstellen in der Organisation, Adaptionsprozesse, das interne Mindset, der Umgang mit Change-Prozessen sowie die Praxis der Abstimmungs- und Kommunikationsprozesse im Team. Gerade die Fehlerkultur spielt eine große Rolle: Hindern mögliche falsche Schritte das Team daran, den nächsten zu tun? Oder sieht man in ihnen im Gegenteil notwendige Erfahrungen, um gezielt und schnell zu lernen, was funktioniert? Im MVP-Prozess sind, wie wir noch sehen werden, auch negative Ergebnisse wertvoll, weil sie den Fokus schärfen. Andererseits ist aber nicht jeder Fehler nötig oder gut: Der Erfolg von Klickparts war auch darauf zurückzuführen, dass man sehr viele (schwere) Fehler nicht gemacht hat.
Zunächst sollte man vermeiden, Investitionen zu tätigen, die nicht direkt auf den ROI einzahlen. Jedes Onlinebusiness wird sich verändern. Das bedeutet aber nicht, dass heute schon Kapital in einer IT-Infrastruktur gebunden sein sollte, die– vielleicht – erst in ein paar Jahren voll genutzt wird.
Schließlich kann sich das Geschäftsmodell auch anders entwickeln, als zunächst vermutet. Viele B2B-Unternehmen, und unter diesen gerade starke Marken, erschließen online das B2C-Geschäft gleich mit. Das muss aber nicht immer der richtige Weg sein, wie das Beispiel Metabo zeigt. Der Hersteller von Elektrowerkzeugen relaunchte 2015 sein B2B-Portal für Fachhändler. Die Onlineplattform ist auf die Anforderungen von Profis aus Handwerk und Industrie zugeschnitten. Auch im B2C-Segment ist die Marke stark. Und tatsächlich wird derselbe Online-Auftritt sowie die Mobile App zum Brand Building und der Kundenbindung für Privatkunden genutzt – allerdings als virtueller Showroom und Kunden-Service-Portal mit weltweiter Händlersuche ohne Check-out. Das Unternehmen entschied sich dafür, Zwischenhandelsstrukturen zu erhalten und verzichtete auf digitalen Direktabsatz.
Die Seiten-Performance ist entscheidend für den E-Commerce Erfolg. Auch das beste UX- und Content-Konzept wird Kunden nicht erreichen, wenn die Seite zu lange lädt. User haben eine kurze Aufmerksamkeitsspanne und brechen den Besuch im Zweifel ab, bevor sie sehen können, was sie erwartet hätte.
Auch hier gilt, dass die Performance mit den Anforderungen optimiert werden muss. Geringer Traffic benötigt ein kleineres Set-up als reichlicher und oft ist schwer absehbar, wann mehr nötig ist.
Am Beispiel des Maschinenbauers Grob Werke, ist dies gut zu erkennen. Der Technologieführer für die Herstellung von Fertigungs- und Montageanlagen erkannte schon früh den sich abzeichnenden Paradigmenwechsel in der Automobilindustrie. Seit 2014 investierten die Grob Werke verstärkt in den Bereich Elektromobilität. Die Autobauer ließen sich etwas mehr Zeit. Als sich 2019 die Trendwende klar abzeichnete, wurde das Unternehmen im Sommer von der Volkswagen-Gruppe sofort als „Bester Lieferant im Bereich Elektromobilität“ ausgezeichnet. Was heute im Jahr 2020 zum neuen Standard geworden ist, war vor sechs Jahren für die Werke noch eine riskante Entscheidung. Sie erwies sich als richtig, musste aber mit Augenmaß getroffen werden.
Der B2B-Commerce wächst stark. Wenn das eigene Unternehmen keine Marktanteile verlieren, sondern sie sogar gewinnen will, muss es und wird es auch wachsen. Wenn sich das Wachstum des Onlinekanals dann einstellt, sollte möglichst problemlos skaliert werden können. Das gilt sowohl für die technische Infrastruktur als auch für das Shiften von Budget, vor allem für die kostbare Ressource HR. Die Mannschaft darf durch die Skalierung der IT-Infrastruktur nicht zu stark gebunden sein, sie muss sich um die (neuen) Kernthemen kümmern.
Wie in den vorhergehenden Punkten gesehen, ist häufige Veränderung absehbar und notwendig. Umso wertvoller ist es, wenn über die gesamte Entwicklungszeit die Kontinuität der Geschäftsprozesse, die Zusammenarbeit der Teams und die Nutzung bekannter und beliebter Software bzw. Tools gegeben sein kann. Wandel ist wichtig, erzeugt aber immer Reibung und verringert zunächst die Effizienz. Wenn man vermeiden kann, das Schiff auf hoher See umzubauen (oder das Shopsystem zu wechseln), ist es wünschenswert. Es ist daher ein nicht zu unterschätzender Wettbewerbsvorteil, wenn Strukturen so, wie beim Start aufgesetzt, mit fortschreitender Entwicklung weitestgehend erhalten bleiben können.
Auch ohne dass sich Business Scope oder Zielgruppe komplett verändern, werden gewisse Elemente – gerade Funktionalitäten – über die Zeit ihre Relevanz verlieren. Wenn Unternehmen dann daran festhalten, weil sie entweder a) sehr teuer waren oder b) es technologisch oder finanziell unmöglich ist, alles umzugestalten, haben sie ein Problem. Die Software muss dem Geschäftsmodell folgen, nicht umgekehrt. Dieser Leitsatz gilt immer und ausnahmslos.
Metabo setzt im B2C auf einen Showroom. Ein ähnliches Beispiel findet sich im B2C mit dem saarländische Möbelhaus Möbel Martin. Aus vergleichbaren Gründen startete auch dieses Unternehmen zur Kundenberatung und -bindung zunächst mit einem Online-Showroom. Der Wandel zum „echten“ E-Commerce kam für den heutigen Multi-Channel-Händler schnell. Dieser Ausbau bedeutet mehr als ein „Aktivieren des Check-outs“. Das neue Gesamtkonzept muss funktionieren.
Bei Projektstart und mit Fokus auf Wachstum und Wandel wird schnell vergessen, dass sehr viel vom fortlaufenden Management und der Wartung der Plattform abhängt. Es gibt keine Software ohne Wartung. Und auch wenn es zunächst unspektakulär klingt, verwendet man über die Jahre einiges an Budget und Ressourcen auf Maintenance, denn sie ist die Grundlage für Weiterentwicklung. Eine nicht oder schlecht zu wartende Systemlandschaft ist ein Hemmschuh und ein Sicherheitsrisiko. Maintenance muss immer funktionieren und möglichst geräuschlos vonstattengehen.
Die Nutzung von Cloud Computing hat in den letzten Jahren stark zugenommen – in allen Segmenten und Unternehmen jeder Größenordnung. Für die Realisierung von E-Commerce-Projekten hat sich aus unserer Erfahrung die Ausprägung als Plattform-as-a-Service (PaaS) besonders bewährt.
Bei der PaaS-Cloud wird neben der Hardware-Infrastruktur auch die Webplattform bereitgestellt. Das ist besonders für das Entwickeln neuer digitaler Geschäftsmodelle im Rahmen eines MVP-Ansatzes von Vorteil. In MVP-Projekten gehen agile Teams in kurzen Arbeitsphasen (Sprints) mit anschließend Feedback-Loops vor, um operativ taugliche und effiziente Lösungen zu entwickeln. So kann in nur wenigen Sprints, zu üblicherweise je zwei Wochen, ein Minimum Viable Product (MVP) bereitgestellt werden, das mit den zunächst wichtigsten Prozessen betrieben und von Kunden genutzt werden. Die so gewonnenen Erkenntnisse können so direkt in die nächste Entwicklungsschleife eingebracht werden.
Die Eleganz dieses Vorgehens liegt darin, dass man die Unvorhersagbarkeit und das notwendige Lernen vom Markt als Stärke umdeutet und aktiv nutzt. Wichtig ist, dass das Unternehmen für die Realisierung auch die richtigen Mittel wählt, bei denen das Experimentieren und Verwerfen von Ansätzen keinen Nachteil bedeuten, weil keine unnötigen Investitionen entstehen.
Das nimmt den Faden der gesunden Fehlerkultur wieder auf: Während ein schwerer Fehler eine Gefahr für den Projektverlauf bedeutet, kann das negative Ergebnis eines Experiments ein Projekt sogar voranbringen.
Anders als der Name verspricht, ist das MVP kein Produkt, sondern ein agiler Prozess. MVPs helfen die oben genannten Fehlerquellen gut zu adressieren und gehen gern mit PaaS Hand in Hand:
Bei so vielen Vorteilen, drängt sich die Frage auf: Warum macht dies nicht schon längst jeder?
Zum einen vollzieht sich aktuell ein Mentalitätswandel, der noch nicht abgeschlossen ist. Viele, die gestern noch Lizenzen gekauft und das Hosting selbst in die Hand genommen hätten, werden dies morgen nicht mehr tun. Zum anderen ist die Frage ‚Make or Buy?‘ zeitlos und mit kaufmännischem Verstand, wird man immer prüfen, an welchen Stellen sich durch In-House-Umsetzung Kosten sparen lassen.
PaaS ist ein effizientes aber kein billiges Angebot. Im Normalfall sind die Gesamtkosten aber deutlich billiger, als alles selbst aufzubauen: von Lieferanten, über Set-up über Tools über internes Know-how. Unternehmen, die die Dinge gern selbst in die Hand nehmen, sind vielleicht in der Lage, ein besseres Hosting auszuhandeln (einige PaaS Anbieter können das durchaus integrieren!), aber es ist eben nur ein kleiner Teil des Projekts, das insgesamt stimmen muss.
Der Hauptfaktor ist aber die Geschwindigkeit, die man durch eine PaaS-Lösung gewinnt. Angesichts extrem schnell voranschreitender Digitalisierung, ist Zeit eben Geld – beziehungsweise Marktanteil – und das Zünglein an der Waage zum Erfolg. Wer einen schnellen Start verpasst, kann ihn oft später nicht mehr aufholen.
Die Herausforderungen im B2B-Commerce sind keine Kleinigkeit, aber sie sind zu meistern. Viele Faktoren für den Geschäftserfolg sind nicht vom Beginn an klar. Mit den richten Managementansätzen und Prozessschritten lassen sich Schwierigkeiten jedoch gut bewältigen, sobald sie auftauchen. Für E-Commerce Erfolg gibt es keine Blaupause und nur der jeweilige Markt und die Unternehmensstrategie entscheiden, ob das Geschäftsmodell Erfolg hat. Digitalisierung bedeutet Wandel, deswegen müssen Plattform und Prozesse auf Geschwindigkeit ausgelegt sein. In jedem Fall aber, muss sich die Software dem Geschäftsmodell anpassen – nicht umgekehrt.
Caroline Helbing ist Senior Analyst und Content Writer beim Freiburger E-Commerce Hersteller OXID eSales. Die Kommunikationsexpertin graduierte in Paris und München und ist seit 16 Jahren im E-Commerce tätig. Caroline analysiert und bewertet Trends und Märkte hinsichtlich Wachstumsimpulsen und branchenverändernder Technologien. Schwerpunkte sind „Content Commerce“, „E-Commerce im Zeitalter von Industrie 4.0“, „B2B Geschäftsmodelle“ und „Customer Experience“. Sie ist in E-Commerce Jurys und als Speakerin aktiv, und teilt ihr Wissen regelmäßig als Referentin in der OXID Academy.