Das Magento Shopsystem – eine reine Enterprise E-Commerce Lösung?
Im Rahmen unserer Beratungsprojekte im E-Commerce ist die Frage nach der passenden Webshop-Lösung eine der wichtigsten Anliegen der Kunden. Die Frage ist vor allem vor dem Hintergrund der hohen Dynamik im E-Commerce wichtig: Im Vergleich zu ERP-Systemen ist die Entwicklung im E-Commerce phänomenal schnell. Auch wenn viele Trends schneller verschwinden als sie auftauchen, so gibt es im Online-Handel doch einen kontinuierlichen Wandel.
Dieser Wandel und die schnelllebige Kultur haben dabei einen großen Einfluss auf Hersteller und Entwickler von E-Commerce Lösungen. Ein Beispiel hierfür ist Shopify, eine Lösung die ganz stark und konsequent auf die Cloud, Software as a Service und vor allem Startups und kleinere Kunden setzt. Shopify hat eine Nische bzw. Markt erkannt, diesen besetzt und bietet dafür die passende Lösung.
Andere Hersteller wie Salesforce haben auch ein Problem erkannt und gelöst, nämlich die Bereitstellung einer Enterprise-Lösung auf Basis einer Cloud. Im Prinzip verfolgt Salesforce auch den Software as a Service Gedanken, spielt diesem im Vergleich zu Shopify aber auf einem anderen, nämlich höheren Level, und zielt vor allem auf multinationale Konzerne ab. Wie sieht es nun im Vergleich bei Magento aus?
Das Magento Shopsystem als Lösung für alle?
So wie sich Shopify und Salesforce gut am Markt platziert haben und hierbei ein ganz klares Segment bedienen, ist für viele Unternehmen und Nutzer eine klare Positionierung von Magento hingegen nicht bekannt. Zugegebenermaßen ist dies mein subjektiver Eindruck. Unterhält man sich jedoch mit verschiedenen Unternehmen, merkt man schnell: Jeder sieht Magento an einem anderen Punkt.
- Durch die Open-Source Edition erweckt Adobe den Anschein, ein breites Open-Source Tool zu sein, das von jedem verwendet werden kann
- Durch die Enterprise Edition erhält man den Eindruck, dass Magento speziell für große Konzerne und High-Traffic Online-Shops konzipiert wurde
- Hingegen erweckt die Magento Cloud den Anschein, dass Magento sich in Richtung SaaS (Software as a Service) entwickelt und auf Knopfdruck verfügbar ist
Sie sehen nun vor allem eines, je nachdem welche Edition Sie betrachten, wird eine unterschiedliche Zielgruppenansprache abgeleitet. Oder, was leider nicht besser ist, man interpretiert, dass Magento alle Segmente vom Startups bis zum Konzern abdeckt.
Magento Shopsystem: Zielgruppen Check
Für welche Zielgruppe lohnt sich schlussendlich der Einsatz von Magento? Ist ein Magento Shopsystem vor allem in Enterprise E-Commerce Projekten relevant, oder können auch Startups und KMUs auf Magento setzen? Es folgt ein neutraler Überblick basierend auf der Zielgruppe, damit Sie für sich einschätzen können, ob sich der Einsatz von Magento als Webshop-Lösung auch in Ihrer Konstellation lohnt, oder ob das System nicht den Anforderungen gerecht wird.
Startups
Aufgrund der Open-Source Variante setzen Startups gerne auf Magento. Der Vorteil liegt auf der Hand: Man bekommt vollkommen kostenfrei ein umfangreiches und leistungsfähiges System. Ein System, welches auch Branchengrößen wie Unternehmen wie Liebherr, Continental oder Yves Rocher einsetzen. Es ist also verlockend auf Magento zu setzen, denn die großen Unternehmen irren sich schließlich nicht und da keine Lizenzkosten anfallen, begeht man auch keinen Fehler.
Vorsicht! Magento eignet sich meiner Meinung nach eben nicht für Startups, auch wenn eine kostenfreie Version existiert. Die Komplexität von Magento erfordert entweder sehr hohes eigenes Entwickler Know-how, oder einen externen Partner. Es ist utopisch, Magento als One Man Show zu betreiben, sich um die Administration, das Customizing und die Weiterentwicklung zu kümmern. Meiner Meinung nach ist dafür das System deutlich zu anspruchsvoll und auch der vermeintlich große Marketplace bedeutet nicht, dass Erweiterungen per Knopfdruck installiert werden können.
Speziell Startups sollten sich auf das eigene Unternehmen konzentrieren, nicht aber auf die Umsetzung oder Entwicklung eines Webshops. Da Budgets oftmals knapp sind, entfällt auch die Option einen seriösen und kompetenten Implementierungs- bzw. Agentur-Partner zu beauftragen.
Kleine- und mittlere Unternehmen (KMUs)
Zugegebenermaßen ist die Definition von KMUs so breit, dass eine pauschale Aussage schwierig ist. Kleine Unternehmen sollten die Stolpersteine, die auch Startups betreffen, berücksichtigen. Sprich internes Know-how ist nicht bzw. voraussichtlich nicht vorhanden, externe Partner sind zu kostenintensiv.
Doch wie verhält es sich mit mittleren Unternehmen, sprich Firmen mit 50 bis 250 Mitarbeiter? In diesem Segment hat Magento definitiv eine Daseinsberechtigung. Zwar haben Unternehmen in dieser Größe nicht zwangsläufig eine eigene Entwicklungsabteilung, welche sich auf Magento fokussiert hat, aber IT- und E-Commerce Budgets sind in der Regel im vernünftigen Rahmen vorhanden.
Innerhalb dieser Unternehmensgrößen darf ein E-Commerce Projekt gut und gerne initiale Kosten von 50.000 Euro und 200.000 Euro verursachen, eine Spanne in der sich auch Magento Projekte bewegen. Auch haben Unternehmen in dieser Größe genügend finanzielle Mittel und Möglichkeiten, die Magento-Weiterentwicklung zu stemmen. Denn speziell Wartung und Weiterentwicklung werden häufig unterschätzt und gerade kleine Unternehmen oder auch Startups können diese Aufwände nicht stemmen.
Zudem profitieren KMUs von der Out-of-the-Box Funktionalitäten des Magento Shopsystems und dem großen Marketplace. Denn Webshops bzw. digitale Vertriebsplattformen, auch hier pauschalisiere ich aus Gründen der Einfachheit, erfordern im Kontext dieser Unternehmensgrößen in der Regel vor allem Features, die entweder von Haus aus enthalten sind oder günstig lizensiert werden können. KMUs erfinden meist das digitale Rad nicht komplett neu, sie haben nicht das Ziel die gesamte Branche mit ihrer E-Commerce Lösung auf den Kopf zu stellen und sind nicht zu 100% von einer hochgradig individuellen Lösung abhängig.
Oder um es kurz zu machen: Das Magento Shopsystem liefert im Prinzip genau das, was diese Unternehmen benötigen.
Größere Mittelständler & Großunternehmen
Bei den größeren Unternehmen verhält es sich ähnlich, wie bei den großen KMUs: Oftmals werden IT-Projekte im sechsstelligen Bereich gestartet und für die Umsetzung einer E-Commerce-Lösung und Strategie ist in der Regel ein realistisches und vernünftiges Budget vorhanden.
Zudem profitieren auch die Großen oftmals von Standard-Software, d.h. Lösungen, die von Haus aus einen guten Funktionsumfang besitzen. Dieser Funktionsumfang hilft dabei, dass nur ein geringer Teil des Projekts auf Customizing entfällt. Es werden bestehende Funktionen genutzt, marginal angepasst und erweitert.
Internationalisierung kann eine Rolle spielen, in den seltensten Fällen handelt es sich aber um High-Traffic Webshops, die Millionen von Bestellungen pro Tag generieren. Magento kann in solchen Konstellationen seine Vorteile gekonnt ausspielen, gerade auch, weil sich ein Magento-System sehr gut an etablierte IT-Systeme wie ERP-, PIM- oder CRM-Lösungen anbinden lässt. Software, die in vielen mittelständischen Unternehmen seit Jahren existiert und in den Gesamtkontext eingebunden werden muss.
Internationale Konzerne
Sicherlich haben Konzerne die finanziellen Ressourcen, eventuell sogar das interne Know-how, um Magento-Projekte zu realisieren. Aber es handelt sich oftmals um Projekte, die eine gewisse Komplexität mit sich bringen. Komplexität in Dimensionen wie:
- Performance
- Weltweite Verfügbarkeit
- Schnelle und automatisierte Deployments
- Individualisierbarkeit
- Support durch den Hersteller
Das Problem beim Magento bzw. Adobe besteht meiner Meinung nach darin, dass Adobe genau diese Kunden ansprechen möchte, die Lösung dafür aber nicht liefert. Denn Unternehmen, die eine weltweite Plattform auf Basis von Magento aufgebaut haben wissen, wie komplex und „friemelig“ dieses Unterfangen ist.
Beim Hosting setzt man entweder auf die desaströs instabile Magento Cloud (Betrieben von plattform.sh) oder muss sich selbst darum kümmern. Magento hat auf diese vorhersehbare und prinzipiell einfache Fragestellung keine befriedigende Antwort. Anders sieht es beispielsweise bei Lösungen wie Salesforce aus, die sich einfach aufgrund der Struktur der Anwendung komplett um Themen wie Hosting kümmern und damit dem Kunden in diesem Bereich die Komplexität nehmen. Weltweite Verfügbarkeit, Performance aber auch das Ausrollen von Features können Hersteller wie Salesforce im Vergleich zu Magento wesentlich besser.
Zudem spielt die Individualisierbarkeit eine große Rolle, d.h. es wird viel mehr eine Plattform als ein fertiges System benötigt. Auch wenn ich diese Fähigkeit Magento nicht absprechen möchte, gibt es auch hier Lösungen, die einen Tick „besser“ sind, wie beispielsweise CommerceTools.
Fazit: Spielt das Magento Shopsystem wirklich nur in der Enterprise Liga?
Um es kurz zu machen: Nein. Das Magento-Shopsystem ist definitiv keine reine Enterprise E-Commerce Lösung. Zwar sehen das viele Magento Agenturen und Partner, sowie auch Adobe, sicherlich anders, aber Magento ist keine reine Enterprise-Lösung!
Die Vision von Adobe mit Magento ist klar. Künstliche Intelligence, Verzahnung von Content und Commerce und eine starke Marketing-Komponente sollen eine umfangreiche Commerce-Lösung bilden. Nur ist Magento noch nicht an diesem Ziel angekommen. Eventuell ist Magento in 2-3 Jahren einen guten Schritt weiter, aber aktuell ist es nur eine Vision – und scheint es noch längere Zeit zu bleiben.
Klar ist aber auch, dass sich Magento nicht für den Einsatz in Startups oder bei sehr kleinen KMUs eignet. Dafür ist die Lösung zu mächtig und am Ende des Tages zu teuer. Komplett im Enterprise-Segment ist Magento auch nicht zu sehen, weswegen meiner Meinung nach Magento vor allem in Projekten mittelständischer Unternehmen gut aufgehoben ist. Denn hier passen oftmals die Anforderungen auf die Out-of-the-Box Funktionalität und es sind genügend finanzielle Ressourcen vorhanden um Projekte mit Magento gut stemmen zu können.