Vor einigen Tagen habe ich über die Magento Live Europe in Amsterdam berichtet und war dabei zweigeteilter Meinung. Zum einen wird Magento, speziell aufgrund der Übernahme durch Adobe, immer besser, leistungsfähiger und professioneller. Magento kratzt nun definitiv am Thron der Enterprise E-Commerce Lösungen à la SAP Hybris oder der Salesforce Commerce Cloud. Auf der anderen Seite birgt diese Entwicklung aber auch Risiken und bringt Veränderungen. Was bedeutet das aber für Magento Freelancer bzw. deren Auftraggeber?
Zugegebenermaßen war ich noch nie ein großer Fan von Freelancern in Magento-Projekten. Auch in der Vergangenheit (Magento 1) waren die Projekte meistens schon so groß und komplex, dass eine Person damit schlicht überfordert war. Oftmals wurde dann – verzeihen Sie mir die saloppe Ausdrucksweise – gefrickelt und gefriemelt. Sprich mittels Trial & Error und einem gesunden Halbwissen an kritischen Systemen herumgedoktert. Oft machte der klassische Freelancer das auch für zig Kunden parallel und hinterließ dann einen Scherbenhaufen.
Sicherlich tue ich mit dieser pauschalen Aussage dem einen oder anderen Profi unrecht – Ausnahmen bestätigen die Regel. In Summe sind das aber meine Erfahrungen in den letzten 10 Jahren voller Magento-Projekte.
Kunden hingegen finden und fanden Freelancer ja super, spart man sich doch auf den ersten Blick den teuren Projektmanagement-Overhead einer Agentur und kann direkt mit einem Profi zusammenarbeiten. Doch was passiert, wenn der Freelancer erkrankt, das Projekt aus privaten Gründen aufgibt oder eines Morgens mit seinem Auto einen Unfall hat und das ganze Wissen mit nimmt? Das klingt hart, es sind aber berechtigte Sorgen, weil all das ja schon durchaus geschehen ist. Dieses Risiko ist für alle Unternehmen, die E-Commerce wirklich professionell leben möchten, eigentlich unannehmbar.
Mit Magento 2 und der Übernahme durch Adobe werden nun die Karten komplett neu gemischt – was im speziellen auch Freelancer betrifft. Denn, wenn Sie mich fragen, ob Sie mit einem freiberuflichen Magento Entwickler Stand heute auch Magento 2 Projekte umsetzen – und weiter betreuen können -, würde ich dies im Allgemeinen bezweifeln.
Das hat unter anderem folgende Gründe:
und folgende Auswirkungen:
Man kann es drehen und wenden wie man möchte: Aufgrund der Strategie von Adobe werden Magento 2 Projekte primär von Agenturen realisiert, da man größere Teams benötigt, um ein Projekt erfolgreich zum Abschluss zu führen. Dies war in dieser Ausprägung bei den „alten“ Magento 1 Projekten nicht zwangsläufig notwendig, weswegen sich auch ein so großes Ökosystem an Freiberuflern entwickelt hat.
Diese Freiberufler werden nun immer stärker von den Agenturen selbst eingespannt – oder lassen sich einspannen-, da diese ihre Kompetenz benötigen. Aber auch, weil sich der direkte Weg zum Kunden und zum Magento 2 Projekt immer schwieriger gestaltet.
Klar, der Rasen beim Nachbarn ist immer grüner als der eigene. Auch in der Vergangenheit gab es sicherlich den einen oder anderen Ausflug eines Magento-Entwicklers in Richtung einer alternativen Lösung. Doch wenn Sie die verschiedenen Magento-Blogs und Nachrichtenquellen verstärkt beobachten, werden Sie eines feststellen. Es gibt heute immer mehr Entwickler und Magento-Experten, die einen Blick über den Tellerrand werfen und sich auch Lösungen wie Shopware anschauen. Ein gutes Beispiel hierfür ist der Blog-Beitrag von neoshops.de.
Okay, an dieser Stelle spekuliere ich nun und blicke in die Glaskugel. Für mich ist es so gut wie sicher, dass viele Magento-Entwickler immer stärker auf andere Lösungen wie eben Shopware „umschulen“. Denn speziell bei Shopware sind die Projekte im Schnitt wesentlich kleiner und wesentlicher „einfacher“ als im Vergleich zu Magento. Hier kann dann auch wieder der Einsatz von Freelancern eine Option werden.
Was bedeutet diese Entwicklung nun in Summe? Es macht für Unternehmen keinen Sinn mehr, ein Magento 2 Projekt auf dem kurzen Dienstweg mit einem Freelancer zu erledigen. Dafür ist Magento 2 einfach nicht gemacht. Und wenn wirklich so wenig Customizing notwendig sein sollte, ist eventuell Magento das falsche System. Oder schießen Sie immer mit Kanonen auf Spatzen?
Das führt meiner Meinung nach in der Magento Szene auch zu einem Umbruch. Gute Entwickler, die als Freelancer arbeiten möchten, arbeiten in Zukunft stärker mit Agenturen zusammen. Der direkte Draht zum Kunden – als One Man Show im Projekt – entfällt damit aber. Es wird also für Unternehmen schwerer, einen Freelancer zu finden. Außerdem kann ich mir vorstellen, dass das Ökosystem Federn lässt und der einen oder anderen talentierte Freiberufler an alternative Lösungen wie Shopware, Shopify und Co verloren geht.
Aber auch dieser Schritt trägt zur weiteren Professionalisierung von Magento als Enterprise E-Commerce System bei. Daher muss man die Entwicklung mit einem lachenden und weinenden Auge betrachten.